Unabhängige Beratung für erwerbslose und prekär beschäftigte Menschen

Wir halten an unabhängiger Beratung für erwerbslose und prekär beschäftigte Menschen fest – Pressemitteilung der Diakonie Sachsen

Trotz guter Konjunktur und niedrigen Arbeitslosenzahlen (113.740, Stand Juni 2019) gibt es in Sachsen weiterhin hohen Bedarf an unabhängiger Beratung bei Arbeitslosigkeit und Leistungsbezug. Denn von Leistungen des Jobcenters sind in Sachsen insgesamt 284.244 Personen (April 2019) abhängig. Sie leben in sogenannten Bedarfsgemeinschaften (161.552).  Solange das System der Grundsicherung (auch Hartz IV genannt) nicht grundlegend reformiert, oder durch ein anderes System der sozialen Absicherung ersetzt wird, brauchen diese Menschen dringend unabhängige Beratung: Zu komplex und mitunter schwer zu verstehen sind Anträge und Regeln – gerade auch das Konstrukt der Bedarfsgemeinschaft bei der alle im Haushalt lebenden Menschen in die Leistung einberechnet werden ist für viele undurchschaubar. So stieg der Anteil der Rechtsfragen in den Beratungen von 17% im Jahr 2017 auf 26 Prozent im Jahr 2018.

Zudem sind trotz Erwerbstätigkeit viele auf einen ergänzenden ALG-II-Bezug angewiesen – in Sachsen betrifft das rund 53.000 Bedarfsgemeinschaften (März 2019) – sei es, weil die neuen Jobs nicht angemessen entlohnt werden oder die Stundenzahl zu gering ist. „Sie stecken oft in einem Kreislauf von Verdienst, Leistungen durch das Jobcenter, Veränderung des Einkommens und Rückzahlungen fest. Hier geht es dann um Vermittlung, Ratenzahlung und das Aufzeigen von Perspektiven“, weiß Hans-Jürgen Meurer, zuständiger Referent, bei der Diakonie Sachsen. So stiegt der Anteil der „Aufstocker“ mit Beratungsbedarf um 4 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf 33 Prozent an.

Bei den Sanktionen bei arbeitslosen erwerbstätigen Leistungsbeziehern liegt Sachsen mit 5,3 Prozent im Bundesvergleich hinter Berlin an zweiter Stelle. Jede Sanktion bedeutet, dass die Bezüge unter das Existenzminimum gekürzt werden – eine Maßnahme, unter der die gesamte Bedarfsgemeinschaft und insbesondere die Kindert leiden. Ob Sanktionen daher überhaupt rechtmäßig sind, klärt zurzeit das Bundesverfassungsgericht.

„Diakonische Erwerbslosenberatung ist unabhängig und nimmt den ganzen Menschen in den Blick: Nicht nur seine wirtschaftliche Situation und seine Probleme mit dem Jobcenter oder Arbeitsagentur können dort angstfrei besprochen werden, sondern auch seine gesundheitliche und familiäre Situation. In vielen Fällen kann sie klären und entspannen, Rechtsansprüche mit durchsetzen, Schlimmeres vermeiden und Wege aus der Krise finden“, ist Meurer überzeugt.

Dass die Anzahl der Beratungen zurückgeht (2017: 914 Fälle mit 2509 Beratungen; 2018: 833 Fälle mit 1984), sagt nichts über den Bedarf, sondern nur, dass die Komplexität der Fälle bei gleichbleibend niedriger Beratungskapazität zugenommen hat. Wie die aktuelle Statistik ausweist, hat sich der Anteil zu Fragen des immer komplexer werdenden Leistungsrechts auf 57 Prozent erhöht.

Seit langem fordert die Diakonie daher eine Förderung der Erwerbslosenberatung durch das Land und einen bedarfsgerechten Ausbau – mindestens eine Beratungsstelle pro Landkreis und kreisfreier Stadt. „Das Leistungsrecht im SGB II wird mit jeder Novellierung komplexer und eine Beratung erfordert hohe Professionalität – und das kostet Geld. Der Verweis, dass die Jobcenter ja selbst auch beraten, ist nicht zielführend, da sich die Klienten dort in einem Abhängigkeitsverhältnis und sogar häufig im Konflikt mit dem Jobcenter befinden. Hier hilft nur unabhängige Beratung weiter, die Existenzängste abbaut, bei der Durchsetzung gesetzlicher Ansprüche unterstützt, aber auch Verständnis für die Arbeit der Jobcenter fördert und Konflikte entschärft.“

Die diakonische Erwerbslosenberatung würde also viel öfter gebraucht, als sie da sein kann. In den letzten Jahren konnten aber nicht einmal die bestehenden Angebote aufrechterhalten werden. Fehlende öffentliche Förderung führte dazu, dass statt ehemals fünf heute nur noch drei dieser Beratungsstellen bestehen. Sie müssen unbedingt erhalten bleiben.

Daher werden die Landeskollekte und Spenden zum diesjährigen Sonntag der Diakonie am 15. September 2019 in diese Arbeit fließen. Die Broschüre mit weiterführenden Informationen finden Sie hier.